Dipl.-Ing. Jürgen Krebs

Verkehrsingenieur
eisenbahnbetriebliche Bildung - Verkehrsgeschichte - Publikationen

Leitsätze
für einen modernen und wirtschaftlichen SPNV und ÖPNV
 

Autofahren kann in Deutschland zum Luxus werden

Die automobile Welt, in der die Mobilität für viele ein lebens- und überlebenswichtiger Faktor ist wird sich in den kommenden Jahren radikal verändern. Das eigene Auto wird darin eher zweitrangig werden. Eine unangenehme Wahrheit wird sein: Die Benzin- und Dieselpreise werden auf Grund der zunehmenden Rohstoffverknappung langfristig steigen. Damit wird das für uns heute gerade noch finanzierbare alltägliche Autofahren für die nächste Generation zum Luxus werden.

Aber:

Ohne Mobilität wird es auch in Zukunft nicht gehen. Deshalb ist es eine der spannendsten Herausforderungen für die Gesellschaft diese in Zukunft auch ohne Auto zu gewährleisten.
Politiker werden in Zukunft nur noch wählbar sein, wenn sie sich für einen herausragenden, von heutigen Verhältnissen stark abweichenden öffentlichen Personenverkehr bis in die letzte Siedlung stark machen. Das geht nur im Stundentakt mit attraktiven Fahrzeiten. Nur so kann die Lebensqualität auch in den ländlichen Gebieten gewahrt werden.
Eigentümer und Betreiber von öffentlichen Verkehrsinfrastrukturen (Schiene) sind gut beraten keine vorhandenen Infrastrukturen mehr stillzulegen. Ganz im Gegenteil: Noch vorhandene Infrastrukturen wieder in Betrieb zu nehmen ist ihre mittel- und langfristige Aufgabe. Unter den zukünftig zu erwartenden  Bedingungen wäre jede andere Handlungsweise kurzsichtig, kontraproduktiv und ein Vergehen an den hoheitlichen Kassen der nachfolgenden Generation.

Deshalb
bekommen die nachstehenden Leitsätze von Jahr zu Jahr immer mehr Gewicht. Dazu müssen Organisationen vorhanden sein, die diesen Verkehr organisieren. Das kleinstaatliche Denken der Landkreise und deutschen Länder muss endlich ein Ende haben. Öffentlicher Verkehr endet nicht an Kreis- und Landesgrenzen. Er geht weit darüber hinaus. Er geht auch über die Bundesgrenze hinaus. Beispiele für einst gut funktionierende Verkehrsverbindungen, die in Folge der politisch gewollten Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) kaputt gemacht wurden gibt es genug. Manche Landesgrenze in Deutschland ist diesbezüglich heute fast undurchlässiger als einst die Berliner Mauer.

Nur eine schnelle Verkehrswende, die auch eine Mobilität ohne Auto garantiert lässt uns auch zukünftig mobil bleiben.

"Man muss die Bahn zu den Menschen bringen
und nicht die Menschen zur Bahn!"

"Man muss die Menschen dort abholen, wo sie wohnen, also mittendurch durch die Orte, man benötigt komfortable Fahrzeuge und man braucht Tarife und Fahrpläne, die absolut narrensicher sind."

"Pkw-Besitz und Benutzung von Straßen- und Stadtbahnen schließen sich nicht aus. Wir müssen beide Systeme fördern."

 "Sie brauchen eine Persönlichkeit als Motor dieser Bewegung, und sie brauchen Kommunalpolitiker, die sich einig sind, dass sie dieses Verkehrsmittel haben wollen. Und wenn die dann gemeinsam zu ihrer Staatsregierung gehen, dann bekommen sie auch, was sie wollen."

Diese Leitsätze für einen modernen und wirtschaftlichen ÖPNV und SPNV stammen von Dr.-Ing. E.h. Dieter Ludwig, dem ehemaligen Geschäftsführer von Karlsruher Verkehrsverbund, Verkehrsbetriebe Karlsruhe GmbH, Albtal-Verkehrs-Gesellschaft und Karlsruher Schieneninfrastruktur-Gesellschaft. Dem erfolgreichen Modell aus Karlsruhe schienengebundenen ÖPNV und SPNV zur einem gemeinsamen System mit gemeinsamen Linien zu verknüpfen sind inzwischen auch andere deutsche Groß- und Mittelstädte in anderen Bundesländern gegangen. Hervorragende Beispiele dafür sind in Baden-Württemberg (Heilbronn), Hessen (Kassel), Sachsen (Chemnitz), Thüringen (Nordhausen) sowie im Saarland (Saarbrücken) zu finden. In Niedersachsen ist mit der RegionalStadtBahn Braunschweig im Jahr 2014 der Einstieg in ein solches System vorgesehen.

Leider gibt es in Sachsen-Anhalt bisher keine Anwendung des Karlsruher oder Kasseler Modells, obwohl im Raum Magdeburg durch die gleiche Spurweite von Straßen- und Eisenbahn hervorragende Ausgangsbedinungen bestehen würden. Der hier zu betrachtende Verkehrsraum würde im Wesentlichen durch die Städte Stendal, Genthin, Loburg, Wiesenburg, Dessau-Roßlau, Köthen, Bernburg, Aschersleben, Halberstadt, Helmstedt, Wolfsburg und Gardelegen begrenzt. In diesem Verkehrsraum ist eine sinnvolle Verknüpfung zwischen bestehender Straßen- und Eisenbahninfrastruktur mit einer den echten Bedürfnissen der Bevölkerung angepassten Linienführung möglich. Die Grundforderung muss dabei sein, ausnahmslos alle Städte und Grundzentren dieser genannten Region an das so geschaffene Netz anzuschließen. Dazu ist es ggf. auch erforderlich bereits stillgelegte und ggf. auch freigestellte Infrastruktur zu reaktivieren und ab sofort von weiteren Freistellungen gem. § 23 AEG abzusehen. Wie Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen aus vergleichbaren deutschen Regionen zeigen, dürfte auch ein solches gemischtes SPNV-ÖPNV-System einen hohen Nutzen erzielen. Auch in Sachsen-Anhalt ist es schon lange überfällig endlich einmal unkonventionelle, innovative Wege bei der Gestaltung eines modernen Schienenverkehrssystems zu gehen. Mit entsprechenden Zweisystemfahrzeugen (15 kV AC, 600 V DC) bzw. Hybridfahrzeugen (600 V DC, dieselelektrischer Antrieb) steht dem nichts mehr im Wege. Man muss es nur wollen. Ich bin gern bereit meine Vorstellungen für ein solches Netz den dafür Verantwortlichen zu unterbreiten.

Der Ausbau der Infrastruktur ist in erster Linie Sache der öffentlichen Hand – sie dann zum Leben zu erwecken und mit den investierten Mitteln für die Einwohner der Stadt oder Region etwas zu tun, ist hauptsächlich Sache von Institutionen, Vereinen und Firmen vor Ort.

Denn die Grundsätze müssen lauten:

  • Einwohner in der Region müssen mobil bleiben und mobiler werden. Sie sollen ihren Wohnort wegen schlechter Verkehrsanbindungen nicht aufgeben müssen.
  • Arbeitsplätze in der Region sollen erhalten bleiben und neue dazu kommen.
  • Touristen sollen sich die Attraktionen in der Region anschauen und auch wieder kommen.
  • Die Wirtschaft soll einen Standort finden an dem Geld verdient werden kann.

Deshalb wehre ich mich auch gegen den von verantwortlichen Politikern leider immer wieder verwendeten Begriff einer so genannten “entvölkerten Region”. Eisenbahnen und andere regionale Bahnen haben immer zur Belebung einer Region beigetragen und nicht zur “Entvölkerung”. Die “Entvölkerung” einer Region ist in aller Regel auch auf eine gescheiterte Verkehrspolitik - verbunden mit dem Rückzug des schienengebundenen Verkehrs aus der Fläche - zurückzuführen. Statistisch gesehen zieht die Ausdünnung des Angebots im schienengebunden Personennahverkehr einer Region immer eine Ausdünnung der Bevölkerungsdichte nach sich. Hier muss, auch im Zeitalter leerer Kassen, von verantwortlichen Politikern nicht nur mit leeren Worthülsen endlich gegengesteuert werden. Auch unsere Verkehrspolitiker sollten endlich “mal die Ärmel hochkrempeln” und vernünftige zukunftsweisende Verkehrskonzepte auf den Tisch legen und nicht dafür sorgen, dass ganze Regionen immer mehr vom öffentlichen Verkehr abgehängt werden. Denn die Zukunft einer Region liegt eindeutig auf der Schiene.

Verkehrspolitikern und Verantwortlichen sei mit auf den Weg gegeben:

Geht nicht, gibt es nicht mehr!!!!
Geht nicht, ist auch der Öffentlichkeit nicht mehr zu erklären!
Geht nicht, ist nicht mehr gewollt!


”Die Gefahren nichtfachmännischer Besetzung ... beruhen m. E. darauf, daß der Außenseiter weit mehr als der Fachmann bestrebt sein wird den Beweis zu liefern, es komme überwiegend auf den festen Willen und den weiten Blick an, um etwas zu schaffen.”

Paul Justin von Breitenbach
seit 1878 in Diensten der Königlich Preußischen Eisenbahn-Verwaltung
1906 - 1918 preußischer Staatsminister für Finanzen, Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten
gleichzeitig Chef der preußischen Staatseisenbahnverwaltung,
1906 - 1918 Chef des Reichseisenbahnamtes